Statement zur Empfehlung der Regierungskommission
Die Notfall- und Akutversorgung, und hier speziell der Rettungsdienst und das Notarztwesen sind zum Patienten geworden. Mittlerweile schwindet bei allen Verantwortlichen und Beteiligten das Hoffen darauf, das würde schon wieder werden, immer mehr.
Die Regierungskommission hat nun in Form der Neunten Stellungnahme einen 18-seitigen Konzeptentwurf vorgelegt, offensichtlich in der Überzeugung das richtige Therapiekonzept gefunden zu haben. An der der Behandlungsbedürftigkeit hat auch der agbn-Vorstand keinen Zweifel. Zu diskutieren bleibt jedoch, ob mit den aufgezeigten Maßnahmen tatsächlich das Therapieziel zum Wohle „des Patienten“ erreicht werden kann, oder ob dieser damit nicht erst recht zum Pflege- oder gar Palliativfall wird!
Unser aller Ziel sollte eigentlich sein, Rettungsdienst und das Notarztwesen wieder gesund zu machen. Während die Medizin der Zukunft immer mehr in Richtung einer Patientenzentrierung und personalisierten Medizin geht, sieht das Bundesgesundheitsministerium die Heilung „dieses Patienten“ eher in symptom-getriggerter Einheitstherapie. Anstelle von Prävention und Kuration setzt das vorgelegte Konzeptpapier auf Analgesie und Amnesie, und scheut sich dabei nicht vor härteren Bandagen gegenüber den Bundesländern. Dabei vernachlässigt die Kommission jedoch viele Aspekte, die sich aus den Patientenrechten und dem Arztrecht im Zusammenhang mit einem individuellen Behandlungsfall bezüglich der Sorgfaltspflicht ergeben würden. Damit tut sie sich offensichtlich leicht, denn die Verantwortung liegt beim Behandler und nicht bei den Empfehlenden.
Deswegen fordert der agbn-Vorstand nachhaltige Konzepte, die weder den echten Notfallpatienten noch das notfallmedizinische Personal gefährden. Die Vorschläge des Bundesgesundheitsministeriums scheinen vor allem Kosten im Auge zu haben und gehen an der Machbarkeit vorbei, insbesondere was die angedachten Zeithorizonte angeht. Die Gesundheitsgesetzgebung braucht dringend ein Risiko- und Fehlermanagement, von nachweislicher Qualität wollen wir hier erst nochmal gar nicht reden. Dahin ist es wohl noch ein sehr weiter Weg.
Die Strukturen der rettungsdienstlichen Organisation ist in den Bundesländern zum Teil sehr unterschiedlich, ebenso die Honorarangelegenheiten unserer Notärztinnen und Notärzte. Da braucht es mehr Gerechtigkeit. Richtig ist aber auch, dass wir je nach Bundesland ganz unterschiedliche Bevölkerungsdichten, Ballungsraumverteilungen, stationäre Strukturen und maximal- bzw. hochschulmedizinische Versorgungsangebote haben. Gerade in einem Flächenstaat wie Bayern wechseln sich sehr schnell Städte und größere Gemeinden mit nur sehr dünn besiedelten Regionen ab. Dies hat nicht nur Einfluss auf die stationäre Versorgungsdichte, sondern mittlerweile auch immer mehr auf die vertragsärztlichen Versorgung, sprich die Landarztstrukturen. Da helfen die Erfahrungen aus einem Maximalversorger mitten in Berlin mit über 30 umliegenden Kliniken nicht wirklich viel.
Genau diese Landärzte haben in der Vergangenheit einen substanziellen Beitrag auch in der Notfall- und Akutmedizin geleistet. Nicht nur wegen der unnötigen Zwangstrennung von Notarzt- und KVB-Dienst gerade an Standorten mit extrem niedriger Einsatzfrequenz, oder der nicht mit Wirksamkeit belegten Präsenzpflichten, sondern auch wegen der Honorierung werden die Dienstbesetzungen immer schwieriger. Spätestens mit Ausscheiden der Baby-Boomer-Jahrgänge aus der ärztlichen Tätigkeit werden sich massive Besetzungsprobleme ergeben!
Genau deswegen müssen alle Verantwortlichen auch handeln, aber auch genau deswegen hält der agbn-Vorstand eine Einheitstherapie mit Verlagerung aller relevanten Kompetenzen an den Bund für patientengefährdend. Die Verankerung des Rettungsdienstes als eigenes Leistungssegment in das SGB V klingt zunächst verlockend und schmeichelnd, letztendliche ist es aber das taktische Instrument, die Kompetenzen vollends auf den Bund zu verlagern. Doch gerade wegen der oben erörterten unterschiedlichen geographischen Aspekte braucht es flexible und dynamisch anpassbare Modelle, die nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern das mit vertretbaren Ressourcen bestmöglich Machbare abzielen. Gerade hier hat der Föderalismus auch seine Vorteile. Dies bedeutet nicht, dass der agbn-Vorstand eine rein lokalpolitisch getriebene Ausprägung unterstützt.
Über die Anzahl der erforderlichen Leitstellen kann und muss man ebenso diskutieren, wie über die Zusammenlegung des kassenärztlichen Rufdienstes. Letzteres ist im Übrigen keine Neuerfindung der Kommission, sondern eine über jahrzehntelang bewährte Struktur, die einfach mal so abgeschafft wurde. Aus der Einsatzerfahrung wissen wir, dass es sehr hilfreich ist, wenn die Leitstellendisponenten nicht nur spezifische Ortskenntnisse sowie rettungsdienstliche Erfahrung, sondern insbesondere auch einen vertrauensvollen Kontakt mit den Einsatzkräften vor Ort haben, sprich man muss sich dazu kennen. Dies wurde schon zu lange vernachlässigt.
Es muss zwingend vermieden werden, dass einerseits bewährte Strukturen dem Rotstift zum Opfer fall und anderseits primär nicht wertschöpfende Verwaltungsstrukturen rein zur Nachweiserbringung und deren Kontrolle im Hintergrund aufgebaut werden. Wir haben bereits heute viel zu viel Bürokratie im Gesundheitswesen und wir wollen weniger und nicht noch mehr!
Gegen eine noch bessere Qualifizierung von Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern haben wir nichts einzuwenden. Dennoch stellt sich für uns die Frage, ob der hierfür angedachte Masterstudiengang dann auch an medizinische Fakultäten und nicht an anderweitige Träger angebunden ist, und das vor allem aus der fachmedizinischen Perspektive heraus.
Letztendlich müssen sich aber auch die Notarztverbände damit abfinden, dass zukünftig – ob man das verbands- bzw. mitgliederseitig nun gut oder schlecht findet – die notärztliche Versorgung zum erheblichen Teil auch per Telemedizin erfolgen wird. Aus den sich faktisch ergebenden Umständen heraus wird der physikalisch anwesende Notarzt ein rein substituierendes Element und keine Routinesituation mehr darstellen wird. Diese Konzeption aber per Bundesgesetz auf alle Bundesländer und Regionen gleichgestaltet zu übertragen, ist ein völlig falscher Ansatz.
Objektive Studien und bis zum Ende durchgedachte Modelle können hier zu mehr Sachlichkeit und weniger Emotion beitragen.
Was es braucht, ist eine interdisziplinäre Abstimmung zwischen Bund und Ländern auf Augenhöhe und mit Augenmaß; den Irrweg eines von oben vorgegebenen Handelns kennen wir bereits aus dem klinischen Alltag.
Dr. G. Schwarzmann
für den agbn-Vorstand